Workation Fail: Zu viel Freizeitstress

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Workation, die perfekte Kombi aus Remote-Arbeit und Urlaub an einer coolen Location. Ab einem gewissen Alter lässt man es aber vielleicht etwas ruhiger dabei angehen, was 7VIERZIG-Autor Jürgen Vielmeier auch besser getan hätte.

An Partyideen mangelte es uns nicht! Zwei Wochen Portugal; tagsüber arbeiten, abends und am Wochenende feiern und Sightseeing. Nochmal jung sein. Da ich selbstständig bin, kann ich das, also remote arbeiten.

Ich besuchte ein befreundetes Pärchen in Porto, das dahin ausgewandert ist. Schon der erste Arbeitstag lief super. Ich beeilte mich, schnell das Wichtigste wegzuschaffen, am späten Nachmittag dann wanderten wir ans Meer, genossen den Sonnenuntergang an einer Beach Bar, hatten ein paar Drinks, sinnierten über das Leben, ließen es uns richtig gut gehen.

Workation, oder: Das Leben genießen

Und schnell ergab sich in dieser ersten Woche eine gesund anmutende Routine. Morgens den Tag mit einem Kaffee auf der Couch beginnen, das Neueste vom Tag lesen, schon einmal eine Runde um den Block drehen, arbeiten, abends Sightseeing und eine sensationell gute Craftbeerbar besuchen, tags drauf eine andere. Und am nächsten Tag eine trendige Cocktailbar, noch mehr Sights, leckere Dinge essen, spannende Menschen kennenlernen.

Der Freitagabend bestand aus einem Craftbeerfestival in sengender Hitze. Laute Musik, kaum Schatten, viel zu trinken, viele wunderbare, nette Leute, die kennengelernt werden wollten. All die Eindrücke verarbeitete ich tags drauf bei einem langen Spaziergang am Douro entlang – eine traumhafte Kulisse – bevor es dann am Sonntag weiter nach Lissabon ging.

Wir fuhren erst Sonntag, um zumindest die allergrößten Wochenendtouristenmassen zu umgehen. Dadurch hatten wir nur den halben Sonntag, uns diese trendige, aber auch wunderschöne Stadt anzuschauen. Wir kletterten einen Miradouro hinauf, spazierten durch die Alfama, am Strand entlang und das Barrio Alto, fanden – Überraschung – eine berühmte Craftbeerbar, unterhielten uns prächtig, nahmen noch einen Absacker in einer Kaschemme nahe unserem Hotel mit toller Aussicht auf die Stadt. Wo ein griechischer Student uns um Hilfe bat. Er könne sein Hotel nicht finden, das müsse doch laut Google Maps hier irgendwo sein.

Ich sprang sofort auf. „We’re gonna help you at all costs!“, beschloss ich. Nur einmal im Leben wollten wir etwas Gutes tun. Zwar fanden wir sein Hotel auf Google Maps auch nicht – laut der App standen wir direkt davor, aber da war nichts. Ich öffnete einen Hotspot für ihn, über den er seinen Freund anrufen konnte, der im gleichen Hotel abgestiegen war. Der Grieche bedankte sich freundlichst, sagte, er wüsste nun Bescheid, ging los und versprach wiederzukommen. Was er dann auch tat, und wir ihm noch ein Bier ausgaben. Erst um zwei lag ich im Bett.

Am nächsten Morgen, dem Montag, schaffte ich auf der Arbeit erstaunlich viel weg, beeilte mich wieder, um noch etwas Zeit für Sightseeing zu lassen. Meine Begleitung war da schon weniger produktiv, müsse mal bisschen abhängen, sagte sie. Aber wir zogen noch einmal voll durch durch die Stadt, sahen die berühmte Brücke des 25. April, gingen durchs Künstlerviertel und erhaschten einen wunderbaren Blick auf den Tejo am immerhin schon letzten Abend in Lissabon.

Arbeit verschieben, statt sie zu tun

Am nächsten Tag, dem Dienstag, war mir schummrig zu Mute. Die Tasten auf dem Keyboard fühlten sich schwer an. Probleme, die sich letzte Woche noch schnell auflösen ließen, zogen nun längste E-Mail-Threads nach sich. Den für den Tag geplanten Videocall auf der Arbeit musste ich verlegen, weil auch das WLAN nicht so wollte wie ich.

Jeder Handgriff dauerte länger als sonst. Ich bekam alles nur zur Hälfte fertig, verlegte die Hauptarbeit auf die Rückfahrt im Zug am Nachmittag, für die wir 1. Klasse gebucht hatten (in Portugal gar nicht teuer), weil dort stabiles WLAN sein sollte.

War dann auch, aber der Zug schaukelte dermaßen, dass ich nach anderthalb Stunden seekrank wurde. Ich musste das Arbeiten einstellen, Musik hören und ruhig aus dem Fenster gucken. Auch nach der Ankunft erholte ich mich nur sehr langsam.

Abends trafen wir dann sogar noch zwei weitere Freunde, die mit dem Camper aus Deutschland rübergefahren und zufällig gerade in der Nähe waren. Es gab ein paar Drinks in Gaia und unten am Douro. Der Plan war, dass wir uns am nächsten Abend wiederträfen.

Zu viel Freizeitstress

Am nächsten Tag, dem Mittwochmorgen, versuchte ich aufzustehen und kam nicht hoch. Es war, als wäre ich erschossen worden, aber trotzdem noch irgendwie am Leben. Das Handy bekam ich gerade noch in die Hand und sah, wie sich im E-Mail-Postfach die Aufgaben türmten. Gut und gerne eine Dreiviertelstunde dauerte es, bis ich mich zu einem Kaffee in die Küche geschleppt bekam. Die anderen sah ich nirgendwo. Ich kam mit kleinsten Dingen kaum hinterher, brauchte nach dem Videocall erst einmal einen langen Spaziergang am Fluss entlang, um wieder halbwegs unter den Lebenden zu wandeln.

So einsilbig und emotionslos hatten mich selbst meine Freunde hier selten erlebt. Einen viel besseren Eindruck machten sie selbst auf mich aber auch nicht. Als es abends daran ging, die beiden Freunde aus dem Camper noch einmal zu treffen, lag ich gerade auf dem Bett, um mich ein bisschen auszuruhen. Meine Freunde schleppten sich noch hin, ich selbst kam einfach nicht hoch.

Am Donnerstag beschlossen wir per Messenger-App jeder mal nur für sich zu arbeiten. Real treffen könnten wir uns ja später noch oder auch vielleicht mal gar nicht. Alle dafür? Jaaa! Bei meiner Arbeit ging es eigentlich nur noch darum zu entscheiden, welche kleinen Tasks ich überhaupt noch vor der Rückreise erledigen konnte – und welche auf die kommende Woche verschieben. Mein Future Self wird sich freuen.

Nach einem Abend auf der Couch mit den anderen, mit geliefertem Essen, aber ohne Drinks und ohne Aktivitäten war mein Akku dann in etwa wieder zur Hälfte aufgeladen. Meine stark schwankende Stimmung versuchte ich mit einem Spaziergang zu stabilisieren. Ich verirrte mich ins Touristenviertel. Menschen über Menschen. Schnell wieder weg da…

Kurz vor dem Nervenzusammenbruch

Und am nächsten Tag: São João, das Fest des Jahres in Porto. Die ganze Stadt im Ausnahmezustand – und wir irgendwie auch. Überall lag der Geruch von gegrillten Sardinen in der Luft, man haute sich gegenseitig mit Plastikhämmern auf den Kopf, was jedes Mal ein lautes Quietschgeräusch verursacht, und sogar der sonst eher zurückhaltende Portuenser wird an diesem Tag laut, geht aus sich heraus und feiert die ganze Nacht.

Es wurde der Wahnsinn, wir feierten irgendwie mit, jeder von uns mindestens einmal kurz am Rande des Nervenzusammenbruchs oder schon darüber.

An die letzten zwei Tage erinnere ich mich nicht. Was taten wir? Ausnüchtern, abhängen, irgendwie klarkommen, vorschlafen vor dem Rückflug am Montag, der mitten in der Nacht geht und mich ins viel zu heiße Deutschland zurückkatapultiert, wo mich der Alltag und ein Haufen liegen gebliebener Arbeit erwarten.

Workation – my ass! Es gilt als DAS Ding, als die Befreiung, als große Chance, gerade für digitale Nomaden, die Welt zu bereisen, Arbeit und Urlaub zu verbinden. Aber eins von beiden leidet dann doch, oder am Ende du selbst. Ich feiere das Konzept, aber entweder bin ich mit Mitte 40 deutlich zu alt dafür, oder es ist längst nicht so toll, wie es im Katalog steht. Ich habe zumindest die richtige Work-Travel-Balance noch nicht gefunden…

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