Oliver, 55, Berlin: „Wir haben doch nur dieses eine Leben“

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Männer im mittleren Alter? Wie blicken sie auf ihr bisheriges Leben – und was würde ihr junges Ich über sie heute sagen? In unserer Köpfe-Rubrik protokollieren wir Momentaufnahmen.

Gemeinsam mit meiner Frau habe ich mir von August 2023 bis Juli 2024 ein Sabbatical genommen. Ein ganzes Jahr raus aus der Arbeit und dem Alltag! Wir hatten das lange überlegt. Der jüngste Sohn war gerade zum Studium ausgezogen, die Gelegenheit war perfekt. Wir haben gesagt: Wenn nicht jetzt, wann dann?

Ausgebrannt war ich nicht. Das war eine private, sehr bewusste Entscheidung. Ich bin Journalist und viele Jahre im Lokaljournalismus tätig, vor dem Sabbatical zuletzt als Chefredakteur zweiter Regionalzeitungen. Heute bin ich Chief Transformation Officer bei der Muttergesellschaft und verantworte den digitalen Wandel des Unternehmens – das hat auch viel mit dem Jahr zu tun. Journalismus ist und bleibt eben mein Kern.

Aber nach mehr als zehn Jahren Lokaljournalismus in unterschiedlichen Führungspositionen war es für mich einfach an der Zeit, auch mal etwas anderes zu machen.

Mein Sabbatical: Studium, Buch-Projekt, Reisen

Mein Sabbatical war dreigeteilt: ein Executive-Studium, ein Buchprojekt und private Reisezeit. Das Studium habe ich an der City University in New York absolviert, das war ein internationales Studienjahr. Vieles ging remote. Aber es gab auch drei Phasen, bei denen man anwesend sein musste.

Da waren Führungskräfte aus der ganzen Welt dabei, zwanzig Leute, sehr divers. Das war eine spannende und sehr neue Erfahrung: Ich war der einzige ältere weiße Mann aus Europa.

Außerdem habe ich ein Buch geschrieben. Es heißt: „Digitaler Erfolg im Lokaljournalismus“ und soll Journalistinnen und Journalisten ermuntern, den digitalen Wandel beherzt anzugehen. Daran habe ich über Monate jeden Tag gearbeitet.

Und dann das Private: Wir haben uns den Traum erfüllt, mit dem Auto von Chicago nach New Orleans zu fahren. Das waren sehr viele sehr schöne Momente, gemeinsam unterwegs sein und Musik hören. Da zehre ich heute noch von. Ich habe auch alte Freunde besucht, die Freundschaften wiederbelebt. Das ging erstaunlich gut, nach all der Zeit. Da sind so viele kleine Momente. Dafür bin ich unendlich dankbar.

Schließlich haben meine Frau und ich uns noch Gravelbikes angeschafft und so manche Tour gemacht.

Bestätigung und Skepsis

Meinem CEO habe ich das Sabbatical ein Jahr vorher angekündigt – er sagte: „Mensch, wollte ich auch schon immer machen.“ Kollegen waren teils skeptisch, mancher vielleicht auch neidisch. Einer meinte: „Du bist doch gar nicht der Typ dafür, du musst doch immer arbeiten.“ Ich habe geantwortet: Doch, bin ich – aber eben anders. Und es hat funktioniert. Nicht zuletzt, weil die Vorbereitung gut geklappt hat.

Die Zusage der Uni in New York kam allerdings erst wenige Wochen vor Beginn des Sabbatjahrs. Da habe ich zwischendurch ganz schön gezittert.

Günstig war das nicht. Allein die Studiengebühr in New York hat 27.000 Dollar betragen, dazu Reisen und Unterkunft. Wir hatten gespart, ein Teil meines Studienjahrs wurde von der Stiftung Mercator gefördert. Da hatte ich großes Glück, das mein Thema passte – ich habe untersucht, wie Lokaljournalismus Demokratie und politische Teilhabe stärken kann und ein Konzept für Listening und Dialog entwickelt.

“Klar hat mich das Jahr verändert!”

Ich weiß, was dieses Sabbatical für ein Privileg war. Aber eines, das ich mir sehr bewusst genommen habe. Denn: Wir haben doch nur dieses eine Leben.

Klar hat mich das Jahr verändert! Ich bin achtsamer geworden, schaue genauer, was um mich herum passiert. Es hat mich demütig gemacht zu sehen, wie Journalistinnen und Journalisten in anderen Weltregionen arbeiten – wenn du zum Beispiel ein Exilmedium leitest und ständig unter Druck bist. Oder in Regionen tätig bist, wo es kaum noch Lokaljournalismus gibt. Da ist mir bewusst geworden, wie privilegiert ich lebe und arbeite.

Meine Frau und ich hatten viel Zeit zusammen, haben uns Freiräume zurückerobert. Das hat uns sehr gutgetan. Wenn die Kinder aus dem Haus sind, ordnet sich das Leben ohnehin neu.

Ich gebe zu, der Wiedereinstieg war nicht leicht. Plötzlich läuft der Kalender wieder voll, du hast Verpflichtungen. Im Sabbatical konntest du morgens in Ruhe Kaffee trinken und spontan frühstücken gehen, bevor du am Buch weiterarbeitest. Das ist eine Lebensqualität, von der ich zumindest versuche, einen kleinen Teil ins Arbeitsleben hinüberzuretten.

Genau richtig so

Was mein 18-jähriges Ich heute über mich sagen würde? Hoffentlich: „Haste gut hingekriegt.“ Vermutlich fände ich mich auch ein bisschen spießig, zu vernünftig. Damals war ich radikaler, skeptischer gegenüber allem, was als Mainstream galt. Mein 18-jähriges Ich würde mir also wahrscheinlich wünschen, dass ich mir diese jugendliche Unruhe ab und zu zurückhole.

Meine Kinder haben mal gesagt, dass sei ein bisschen hippie-mäßig gewesen, was wir da gemacht haben. Vielleicht stimmt das. Es war auf jeden Fall genau richtig so. Protokoll: Peter Stawowy

Infos zu Olivers Studien-Projekt finden sich hier.

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