Der Tod der Großeltern: Wenn der Stamm zerfällt

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Über den Tod der eigenen Eltern ist viel gesagt. Doch schon der Tod der Großeltern verändert viel im Leben – und in der eigenen Familie.

Von Jonathan Fasel

Als ich die Haustür zuzog, ein letztes Mal dieses trockene Rumpeln auf den braunen unebenen Fliesen im Flur hörte, wusste ich, dass ein Kapitel in meinem Leben zu Ende gegangen war. Ein Kapitel, das vor fast 40 Jahren für mich begonnen hatte. In diesem Moment war klar, dass meine Familie eine Generation nach vorn gerückt war.

Dass Oma und Opa jetzt ein anderer Ort ist. Nämlich der meiner Eltern und Schwiegereltern.

„Kommt bitte möglichst alle zu Omas Geburtstag“

Anfang November haben wir meine Oma beerdigt. Wir, das sind doch recht viele Menschen: Mein Vater und seine zwei Geschwister, elf Enkel, 13 Urenkel. Die Partner. Mein – mittlerweile schwer dementer – Opa.

Und natürlich Freunde und Nachbarn – sofern sie noch leben. Meine Oma wurde 95, sie hat die meisten ihrer Generation überlebt; entgegen den Mutmaßungen der eigenen Familie.

Seit 20 Jahren hieß es Anfang August eigentlich immer: Kommt bitte möglichst alle zu Omas Geburtstag, wer weiß, wie lange noch.

Es war das jährliche Familienfest im Garten, wackelige Plastikstühle, der Hund störte jedes Mal.

Ich kannte nie alle Gäste, immer gab es einen neuen Nachbarn, alte Freunde oder entfernte Verwandte. Noch bis hoch in die 80 knüpfte meine Oma Kontakte, obwohl sie kaum noch das Haus verließ.

Sie hatte ihr Telefon, sie hatte WhatsApp, sie hatte zeitweise sogar Facebook und schrieb E-Mails.

Die Tür stand immer offen für uns

Meine Oma war eine Übermutter. Immer fröhlich, immer optimistisch, sie liebte Sonnenblumen. Die Tür stand immer offen für uns – und auch für Freunde.

Streit konnte sie nicht haben, der musste schnellstmöglich in ihrem Beisein geschlichtet werden, zur Not mithilfe einer Flasche Wein. Noch mit 70 kandidierte sie für den Stadtrat, aus Überzeugung.

Am Tag Ihrer Beerdigung brachten wir so viele Sonnenblumen wie möglich – nicht so einfach im November. Manche sahen etwas kümmerlich aus, es war uns egal. Danach versammelten wir uns bei Oma und Opa zu Hause, obwohl sie die letzten Monate im Pflegeheim verbracht hatten. Nach der Trauer kam die Wiedersehensfreude, die Wärme kehrte ins Haus zurück.

Es war, als ob Oma noch zwischen uns saß, wie zuletzt immer etwas stiller, aber stets mit spitzem Lächeln oder auch mal einem kritischen Blick. 

Die neutrale Zuflucht gibt es nicht mehr

Oma und Opa ist jetzt ein anderer Ort. Es gibt sie nicht mehr, diese neutrale Zuflucht innerhalb der Familie, die man auch mal vor den eigenen Eltern gesucht hat. Und an dem die anderen Familienteile genauso selbstverständlich ein- und ausgingen. Der Treffpunkt, um Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen zu sehen.

Auch dank Oma und Opa ist mein Cousin wie ein großer Bruder geworden.

Der Tod hat uns als Familie näher zusammenrücken lassen. Aber ich befürchte auch, es geht etwas verloren.

Ömsken, wie wir sie seit 25 Jahren liebevoll nannten, war das Scharnier zwischen den drei Teil-Familien, die mit der Zeit entstanden und gewachsen waren.

Wo und wann werden wir uns wieder alle treffen? Zur Beerdigung von Opa – und dann?

Der Dezember ist jetzt der neue August

Mein Vater wurde kurz danach 65. Wir trafen uns bei ihm im großen, hellen Haus in der Panoramastraße. Wir, das sind auch schon viele Menschen. Oma und Opa. Ich und meine fünf Geschwister, sechs Kinder, Pardon: Enkel. Die Partner. Der Dezember ist jetzt der neue August.

Für meinen Vater und seine Geschwister ist der Abschied sehr viel schwieriger, natürlich. Wir sind jetzt die nächsten, sagte mein Vater zu meinem Onkel. Lasst euch Zeit, sagte ich.

Foto von Tatiana Reusche auf Unsplash.

2 Antworten

  1. Als meine Uroma gestorben ist, war ich wirklich geschockt. Erst nach der Feuerbestattung habe ich realisiert, dass ich sie nicht mehr wieder sehe. Sie war sehr alt, hatte aber mit vielen einen guten Draht.

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